Das Schwedenlied

Mit dem Fahrrad kam ich hier in Gylsboda an, am Abend des 12. Juli 2007.
Eine Tüte voll mit Farben, Binder, Stiften, Pinsel, zwei großen Tüchern und
einer Plastikplane für den Arbeitsstart. Alles andere war mir klar hier zu
finden, vor allem Bildträger. Auch in Schwedischen Dörfern quellen die
Relikte der Konsumgesellschaft aus den Mülltonnen, den Kellern und
Recyclinghöfen. Konglomerate für spätere Natur. Ob sie genießbar sein werden
für zukünftige Bewohner dieses Felsenlandes, bleibt vorerst dahingestellt.
Wunderbares Material gibt es hier zu finden, fantastische Bildträger, eine
richtig gute Ausgabenschonung für des Künstlers Portmanier. In Berlin hat
die Qualität an Straßenfundstücken schwer nachgelassen. Überdies konnte ich
Berlin, Deutschland sehr gut abstreifen, geradezu vergessen hier in
Gylsboda. Es tat dem Gemüt gut, wegzusein. Fernab zusein von aller
politischen Aufgeregtheit. Fernab unseren dümmlichen Medienwolken. Fernab
von diesen durchsichtigen Globalisierungsdebatten, die alte Tatsachen nur
neu bewörtern: Ausbeutung, „Kriegsspiele“ und Wirtschaft, Wirtschaft über
alles.
Die Zeit war zu kurz, um in meiner Kunst soweit zu tauchen, das es vergessen
macht was liegen blieb hier an den Berliner Orten meines Wirkens. Kein
radikaler Bruch. Für die Kunst liegt Fortschritt im Vergessen.
Hier in den schwedischen Wäldern hat sich aber eine liebe zu der Acrylfarbe
postuliert, dank Ottmar Bergmann, der seinem Stipendiaten einen riesigen
Korb von diesen ins Atelier „Missionshuset“ stellte, mit der er übrigens
selbst begeistert malt. In gewisser weise habe ich am Erbe von Jens Jørgen
Enna Thorsen weitergearbeitet. ( Thorsen der Multikünstler und Regisseur
starb am 15. November 2000,Vater von Snild Orre und Lebenskamerad von
Mette Aarre ) Es hat für mich Symbolcharakter und ist überdies Ausdruck
meiner soziologischen Theorie zur möglichen Künstlerexistenz, (siehe
„Streikposten“) Strukturen zum Werden eines Kunstwerkes offen zu legen, wenn
die Entstehung auf Personen zurückzuführen is. Dies liegt mir am Herzen und
wird im eigenen Werk immer wieder dokumentiert. Das gepuste vieler unserer
Etappenstars, die sich zum Zenit der Kunstgeschichte ernennen, ohne das da
vor ihrer Geschichte zu würdigen, diese Verkaufsstrategien sollten sie nicht
ernst nehmen, verehrtes Publikum. Zu diesem Thema gehört auch ein Fundstück
aus dem Gerümpelkeller von Mette Aarre, einer Kollegin. Sie hat einmal in
den 60´er Jahren Kleider hergestellt und bemalt in Paris, um sich und ihre
Kinder durchzubringen. Eben solch ein Kleiderfragment habe ich hier gefunden
und einen Fisch herausgearbeitet. Der Fisch bleibt. Am Ausstellungsort
Missionshuset wurde er mit dem Bild eines Segelschiffes kombiniert und war
temporäres Kunstwerk.
Hier im Missionshuset habe ich auch weitergearbeitet im Sinne meines
persönlichen Meilensteins Mark Rothko. Eine Annäherung an Farbflächen, Farbvibration und einer Malerei die sich vom zeichnerischen Charakter loslöst.
Eins will ich hier noch verdeutlichen: für mich gibt es kein
Auszuschließendes Thema, Stil oder gar die Grundsatzfrage von du darfst nur:
Abstrakt bis abstrahiert oder realistisch bis figürlich dir etwas aussuchen.
Ich arbeite in der Welt der Kunst und ich nehme mir aus der Welt der Kunst
was ich zu meiner bestmöglichen Kunst dann formen kann. Und es ist kein
Widerspruch Wissen zu Vergessen, um aus dieser Ursuppe die wir dann Bildung
und Erfahrung nennen: Neues zu schöpfen. Bei aller individuellen
Begrenztheit, neben ihr gibt es immer wieder andere, neue Wege zum
überragenden Bild, zur überragenden Kunst. Auch sollten wir nicht vergessen
das in den künstlerischen „Habseligkeiten“ anderer durchaus Anfänge von
Großartigkeit liegen kann. Andere Künstler müssen es erkennen und
weiterführen. Das Methodenrepertoire des Künstlers sollte
wissenschaftlicher, aufgeklärter, ehrlicher und klassenbewusster werden.

Sie sollten Wissen, Gylsboda ist ein legendärer Ort. Man erzählt sich, im Missionshuset wo
ich gearbeitet und ausgestellt habe, wurde der spätere Nobelpreisträger
Harry Martinson (1904-1978) als Kind versteigert, an denjenigen, der das wenigste Geld für seinen Unterhalt von der Gemeinde forderte. Er wurde Arbeitssklave.
Einen ganzen Ortsabschnitt habe ich in meine Ausstellung integriert. Man
könnte es einen Wieczorekkilometer nennen, entlang historischer Ereignisse
die hier in Gylsboda stattfanden. Hinter meinem Hotel, Mettes Haus begann
die Ausstellung, mit einer bescheidenen Annäherung an die land art. Es ist
das älteste noch erhaltene Arbeiterhaus im Ort, aus dem Jahre 1899. Am oft
erwähnten Missionshuset vorbei, dann ein integriertes altes Wartehäuschen,
hier und da stand was rum, am 60 Meter tiefen Steinbruchsee vorbei zum
anderen Ende der Ausstellung der Transformatorstationen wo ich meine großen
Bilder zeigte. Hier kam 1920 der Strom nach Gylsboda. Hjalmar Råstorp ein
Bildhauer hat hier zeitweise gelebt, gearbeitet, seit den 70´er Jahren
Ausstellungen veranstaltet und durch seine Initiative gründete sich die
international besetzte „Ubbeboda Group“. Gylsboda, auch ein
Industriedenkmal, ist dem Verfall ausgesetzt. Wenn Schweden sich nicht
kümmert, wird hier Wald und Wetter seinen Teppich über es legen, in absehbarer ferne, denn hier wird solide gebaut.
Einige Arbeiten sind hier geblieben, über hundert Zeichnungen, Objekte und
Gemälde sind mit dem „Konstantintaxi“ nach Berlin zurück. Mit meiner Liebe
Jeannette, dem Rad und Dutzenden von Zeichnungen bestiegen wir am 27. August
2007 die Fähre in Trelleborg.
Meine künstlerische Erfahrung die ich hier in den schwedischen Wäldern, den
Hügeln des Diabas, in den historischen Spuren von Gylsboda erweiterte, wird
seine Prägnanz noch zeigen. Ich arbeite an einer Blumenwiese für die Welt,
wo dereinst dann gepflückt werden kann.


Rainer Wieczorek, Berlin im September 2007